Das sogenannte Telegraphenrauschen entsteht, wenn die magnetischen Momente im Antiferromagneten zwischen zwei wohldefinierten Zuständen hin- und herschalten. Copyright: Marvin Weiss/Universität Konstanz

Rauschen – Informationsquelle statt Ärgernis

Forschende der Universität Konstanz entdecken eine neue Art ultraschnellen magnetischen Schaltens, indem sie Fluktuationen untersuchen, die als Rauschen in Experimenten normalerweise eher stören.

Das Rauschen im Radio bei schlechtem Empfang ist ein typisches Beispiel, wie Fluktuationen ein physikalisches Signal überdecken.Tatsächlich findet man bei jeder physikalischen Messung zusätzlich zu dem eigentlichen Signal solche Störungen bzw. Rauschen. „Selbst an der einsamsten Stelle des Universums, wo es eigentlich gar nichts geben sollte, gibt es immer noch Fluktuationen des elektromagnetischen Felds“, sagt der Physiker Ulrich Nowak. Der Sonderforschungsbereich (SFB) 1432 „Fluktuationen und Nichtlinearitäten in klassischer und Quantenmaterie jenseits des Gleichgewichts“ an der Universität Konstanz versteht dieses allgegenwärtige Rauschen allerdings nicht als Störfaktor, den es möglichst auszuschalten gilt, sondern als Informationsquelle, die etwas über das Signal aussagt.

Keine magnetische Wirkung, aber Fluktuationen
Dieser Ansatz hat sich nun bei der Untersuchung von Antiferromagneten bewährt. Antiferromagnete sind magnetische Materialien, bei denen sich die Magnetisierung mehrerer sogenannter Untergitter gegenseitig aufhebt. Dennoch gelten antiferromagnetische Isolatoren als vielversprechend für energiesparende Bauelemente im Bereich der Informationstechnologie. Da sie jedoch nach außen hin kaum Magnetfelder aufweisen, sind sie physikalisch sehr schwer zu charakterisieren. Nichtsdestotrotz sind Antiferromagnete von Fluktuationen umgeben – die einiges über das schwach magnetische Material aussagen.

Auf dieser Grundlage analysierten die Gruppen der beiden Materialwissenschaftler Ulrich Nowak und Sebastian Gönnenwein im Rahmen des SFB die Fluktuationen von antiferromagnetischen Materialien. Entscheidend in ihrer sowohl theoretischen als auch experimentellen Studie, die aktuell im Journal Nature Communications erschienen ist, war der spezielle Frequenzbereich. „Wir messen sehr schnelle Fluktuationen und haben eine Methode entwickelt, mit der auf der ultrakurzen Zeitskala der Femtosekunden noch Fluktuationen nachweisbar sind“, sagt der Experimentalphysiker Sebastian Gönnenwein. Eine Femtosekunde ist ein Millionstel einer milliardstel Sekunde.

Neuer experimenteller Ansatz für ultraschnelle Zeitskalen
Auf langsameren Zeitskalen käme Elektronik zum Einsatz, die schnell genug ist, um die Fluktuationen zu messen. Bei ultraschnellen Zeitskalen funktionieren diese Konzepte nicht mehr, weshalb ein neuer experimenteller Ansatz entwickelt werden musste. Er geht auf eine Idee der Arbeitsgruppe von Alfred Leitenstorfer zurück, der ebenfalls Mitglied des Sonderforschungsbereichs ist, und nutzt mittels Lasertechnik Pulssequenzen oder Pulspaare, um Informationen über Fluktuationen zu erhalten. Dieser Messansatz wurde zur Untersuchung von Quantenfluktuationen entwickelt, jetzt aber auf Fluktuation von magnetischen Systemen erweitert. Maßgeblich beteiligt war hier Takayuki Kurihara von der Universität Tokio als dritter Kooperationspartner, der von 2018 bis 2020 Mitglied der Arbeitsgruppe Leitenstorfer und des Zukunftskollegs der Universität Konstanz war.

Nachweis von Fluktuationen durch ultrakurze Lichtimpulse
Das Experiment besteht darin, zwei ultrakurze Lichtimpulse zeitverzögert durch den Magneten zu leiten, wodurch die jeweiligen momentanen magnetischen Eigenschaften mit den Lichtimpulsen abgefragt werden. Anschließend werden die Lichtimpulse mithilfe einer ausgefeilter Elektronik auf ihre Ähnlichkeit überprüft. Der erste Impuls dient dabei als Referenz, der zweite beinhaltet Informationen darüber, wie stark sich der Antiferromagnet in der Zeit zwischen erstem und zweitem Impuls verändert hat. Unterschiedliche Messergebnisse zu den beiden Zeitpunkten belegen die Fluktuationen. Um das Ergebnis des Experiments besser zu verstehen, wurde es zusätzlich in der Arbeitsgruppe von Ulrich Nowak in aufwändigen Computersimulationen modelliert.

Ein unerwartetes Ergebnis war die Entdeckung des sogenannten Telegrafenrauschens auf ultrakurzen Zeitskalen. Es gibt demnach nicht nur unsortiertes Rauschen, sondern auch Fluktuationen, bei denen das System zwischen zwei wohldefinierten Zuständen hin- und herspringt. So schnelles, rein zufälliges Schalten wurde zuvor noch nie beobachtet und könnte für Anwendungen wie zum Beispiel Zufallsgeneratoren interessant sein. Auf jeden Fall aber bieten die neuartigen methodischen Möglichkeiten zur Analyse von Fluktuationen auf ultrakurzen Zeitskalen viel Potenzial für weitere Entdeckungen im Bereich funktionaler Materialien.

Faktenübersicht:

  • Originalpublikation: M. A. Weiss, A. Herbst, J. Schlegel, T. Dannegger, M. Evers, A. Donges, M. Nakajima, A. Leitenstorfer, S. T. B. Goennenwein, U. Nowak & T. Kurihara: Discovery of ultrafast spontaneous spin switching in an antiferromagnet by femtosecond noise correlation spectroscopy. Nat Commun 14, 7651 (2023). https://www.nature.com/articles/s41467-023-43318-8
  • Forschende der Universität Konstanz entdecken eine neue Art magnetischen Schaltens, indem sie Fluktuationen betrachten
  • Kooperationsprojekt der Materialwissenschaftler Prof. Dr. Alfred Leitenstorfer, Prof. Dr. Ulrich Nowak und Prof. Dr. Sebastian Gönnenwein der Universität Konstanz, Associate Professor Makoto Nakajima von der Universität Osaka sowie Dr. Takayuki Kurihara von der Universität Tokio
  • Die Studie wurde durch den Sonderforschungsbereich 1432 gefördert.